Gernot Wagner: "Atomkraft ist Teil der Lösung"
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"Fukushima war eine Erfolgsgeschichte" ArtikelzusammenfassungDer österreichisch-amerikanische Klimaökonom Gernot Wagner betont in einem Interview mit ZEIT ONLINE, dass es ein Fehler sei, im Kampf gegen den Klimawandel komplett auf Atomkraft zu verzichten. Obwohl Deutschland und Österreich den Atomausstieg bereits beschlossen haben, sieht Wagner Atomkraft als Teil der Lösung. Er argumentiert, dass es technische Lösungen für die Lagerung von Atommüll gibt und dass neue Reaktoren die Energieform mittelfristig günstiger machen könnten. Trotz der Risiken betont er die Vorteile von Atomkraft, insbesondere in Ländern wie China und Indien.
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ZEIT ONLINE: Auch dafür gibt es genügend Alternativen, wie Wasserkraft oder effiziente Gaskraftwerke.
Wagner: Ja, nur natürlich gibt es Wasserkraft eben nicht überall und selbst die effizientesten Gaskraftwerke produzieren immer noch Unmengen an CO₂-Emissionen, von Methan jetzt einmal ganz abgesehen – Methan entkommt sowohl aus dem Leck in der Gasleitung als auch von so manchen Stauseen in großer Menge. Also Abstriche gibt es überall. Dass man in Österreich kein neues Atomkraftwerk bauen will, weil über 60 Prozent der Elektrizität aus Wasserkraft kommen, ist nachvollziehbar. Ähnlich ist es auf Island, die Menschen dort brauchen nicht mal Windräder, weil sie ihren Energiebedarf jetzt schon zu 100 Prozent aus Wasserkraft und Geothermie decken können. Aber was ist mit großen und schnell wachsenden Ländern wie China und Indien?
ZEIT ONLINE: China investiert massiv in den Ausbau von Wind und Wasserkraft.
Wagner: Solar auch, und das ist gut so. China plant für die kommenden 15 Jahre aber auch 150 neue Reaktoren, um den wachsenden Strombedarf zu decken und die klimaschädlichen Kohlekraftwerke zu ersetzen. Bei 1,3 Milliarden Menschen ist nun mal alles etwas größer. Dabei forscht das Land etwa auch am ersten Flüssigsalzreaktor, der Thorium als Brennstoff verwendet statt des radioaktiveren Plutoniums oder Urans. Thorium entsteht derzeit als Abfallprodukt in Chinas Minen für Seltene Erden, die teils für Batterien und Solaranlagen verwendet werden.
Diese neuen Nukleartechnologien sind vergleichbar mit Investitionen in Technologien, die Kohlendioxid direkt aus der Luft filtern. Sie ersetzen keine Maßnahmen, mit denen wir hier und jetzt die Emissionen reduzieren müssen, aber sie sind global notwendig, um mittelfristig die ehrgeizigen Klimaziele zu erfüllen.
ZEIT ONLINE: Das dritte Argument gegen Atomkraft lautet: Die Folgen eines GAU, sei die Wahrscheinlichkeit auch noch so gering, sind einfach zu groß. Haben uns Tschernobyl und Fukushima nicht gezeigt, dass Atomkraft im schlimmsten Fall unkontrollierbar ist?
In Japan und Deutschland sind im letzten Jahrzehnt Tausende von Menschen gestorben, weil politisch entschieden wurde, erst die Atomkraftwerke und dann viel später die dreckigen Kohlekraftwerke abzuschaltenGernot Wagner
Wagner: Tschernobyl und Fukushima müssen getrennt betrachtet werden. Der GAU in Tschernobyl war extrem schlimm und hatte weitreichende Folgen. Dass in Russland immer noch neun Reaktoren dieses Typs am Netz sind, ist eine Katastrophe. Dass diese Kraftwerke nicht nach westlichen Sicherheitsstandards gebaut worden sind und hier nie ans Netz gegangen wären, ist auch klar.
ZEIT ONLINE: Und Fukushima?
Wagner: Je nach Perspektive könnte man das auch als Erfolgsgeschichte beschreiben.
ZEIT ONLINE: Wie bitte?
Wagner: Der Unfall hat gezeigt, warum die sehr teuren Sicherheitsvorkehrungen richtig und wichtig sind und sie auch weitestgehend funktionieren.
ZEIT ONLINE: Das müssen Sie erklären.
Wagner: Erst mal: Was ist damals passiert? Das größte Erdbeben in der Geschichte Japans hat einen riesigen Tsunami ausgelöst. Durch die Naturkatastrophe starben um die 20.000 Menschen. Bis heute können immer noch um die 40.000 Menschen nicht in ihre Häuser. Aber wie viele Menschen erkrankten oder starben durch nukleare Verstrahlung? Gemäß dem umfangreichsten Bericht zum Thema, einem UN-Bericht von 2021: genau niemand. Lediglich ein Arbeiter im Atomkraftwerk, der größeren Strahlenmengen ausgesetzt war, erlag einer Krebserkrankung.
ZEIT ONLINE: Vielleicht haben wir einfach Glück gehabt?
Wagner: Natürlich ist die Atomkraft nicht ohne Risiko. Die Kosten und Risiken sind sogar äußerst sichtbar. Aber gleichzeitig ist auch klar: Sowohl in Japan als auch Deutschland sind im letzten Jahrzehnt Tausende von Menschen gestorben, weil politisch entschieden wurde, erst die Atomkraftwerke und dann viel später die dreckigen Kohlekraftwerke abzuschalten.
ZEIT ONLINE: Hat Deutschland mit dem Atomausstieg aus Ihrer Sicht einen Fehler gemacht?
Wagner: Gott sei Dank bin ich kein Politiker. Fakt ist: Die CO₂-Emissionen liegen in Deutschland heute pro Person trotz ambitionierter Energiewende bei acht Tonnen Kohlendioxid, während Frankreich mit seinem großen Bestand an Kernkraftwerken weniger als fünf Tonnen pro Kopf ausstößt.
Aber zum vollständigen Bild gehört auch: Erst Deutschland und China haben Ökostrom so günstig gemacht und sowohl sich selbst enorme Vorteile geschaffen als auch uns im Kampf gegen den Klimawandel global vorangebracht. Deutschland hat auf der Nachfrageseite für den notwendigen Boom von Wind- und vor allem Solarkraft gesorgt und China hat diese Nachfrage mit stark subventioniertem Angebot gedeckt. Auf Englisch würde ich jetzt antworten: "Deutsch und Chinesisch Lernen, und fleißig Dankeskarten schreiben!"
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