als ich im vergangenen Oktober, wenige Tage vor ihrem 97. Geburtstag, um ein Gespräch mit Peggy Parnass bat, da warnte man mich. Ein Gespräch sei möglich, aber kein klassisches Interview. Parnass – die Autorin, Gerichtsreporterin, Holocaustüberlebende, Hamburger Persönlichkeit und Kämpferin für die Rechte von Minderheiten – hatte noch kurz zuvor für das Programmheft von Kampnagel gemodelt und war Ehrengast einer Matinee im Ernst-Deutsch-Theater gewesen. Aber eine Stunde lang konfrontative Fragen und Antworten, das sei zu anstrengend.
Mit Peggy Parnass wollte ich über die persönlichen Dokumente und rund 25.000 Fotos sprechen, die sie dem Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung überlassen hatte (Z+). Ihr Freund Karl-Heinz Dellwo hatte sich für die Aufbewahrung der Unterlagen eingesetzt, jetzt saßen wir zu dritt in der letzten Herbstsonne vor einem Imbiss in St. Georg, dem Viertel, in dem Peggy Parnass seit Jahrzehnten wohnte.
Sie war freundlich und zugewandt. Meistens brauchte sie etwas Zeit, um auf Fragen zu antworten. Sekunden, die verstrichen, während sie nachdachte, das Gehörte entschlüsselte oder ihre Worte sammelte. Doch es gab auch Momente, da blitzte ihre Persönlichkeit auf, über die ich im Vorfeld so viel gelesen hatte, ihre Schlagfertigkeit, ihr Scharfsinn und ihr Witz. Zum Beispiel als Dellwo erzählte, wie er mit Peggy Parnass viele Stunden lang ihre Unterlagen gesichtet habe. "Ich kenne jetzt ihre ganzen Geheimnisse", sagte er. Da war Parnass plötzlich hellwach, schaute ihn spöttisch an und fragte: "Ist das so?"
© ZONNewsletter
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Gestern ist Peggy Parnass im Alter von 97 Jahren gestorben. "Wir trauern um eine außergewöhnliche Bürgerin unserer Stadt", sagte Bürgermeister Peter Tschentscher. Die Präsidentin der Bürgerschaft, Carola Veit, würdigte sie für ihren "unermüdlichen Einsatz für Toleranz und Vielfalt" und als "feste Größe in der Hamburger Kulturszene". Weitere Reaktionen finden Sie in diesem Newsletter in der "Nachricht des Tages".
Fast bis zuletzt hat Parnass sich für die politischen und gesellschaftlichen Anliegen eingesetzt, die ihr wichtig waren. Noch Ende Januar war sie bei der Verleihung des Bertini-Preises für junge Menschen mit Zivilcourage zu Gast. Und wenn Sie heute die ZEIT aufschlagen, finden Sie ein kurzes Interview mit Peggy Parnass.
Sie sagt darin: "Was interessiert mich mein Alter? Es gibt junge Alte und alte Junge. Ich sage anderen immer: Wenn es für dich wichtig ist, ist es für dich wichtig. Mich interessiert es nicht. Ich lebe schrecklich gern." Die Zeitung war bereits im Druck, als uns gestern die traurige Nachricht aus ihrem Freundeskreis erreichte.
Kommen Sie gut durch den Tag,
Ihr Oskar Piegsa
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WAS HEUTE WICHTIG IST
© Daniel Bockwoldt/dpaNachdem Anfang der Woche der Flughafen durch einen Warnstreik lahmgelegt wurde, droht ab heute Abend ein Verkehrschaos auf der A7 sowie in der Innenstadt. Die Gewerkschaft ver.di hat Beschäftigte der Tunnelbetriebszentrale aufgerufen, von heute um 18 Uhr bis morgen um 10 Uhr die Arbeit niederzulegen. Das könnte dazu führen, dass der Elbtunnel, die A7-Überdeckelungen in Schnelsen und Stellingen sowie der Wallring- und Krohnstiegtunnel in der Innenstadt gesperrt werden müssen. Die Autobahn GmbH versucht, das abzuwenden, und geht juristisch gegen den geplanten Warnstreik vor. Auch bei den Hadag-Fähren droht ein Warnstreik. Morgen beginnt in Potsdam die dritte Tarifrunde für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen. Unser Archivbild zeigt einen Stau vor dem Elbtunnel im vergangenen Jahr.
Die Regierungschefs der Bundesländer begrüßen das geplante milliardenschwere Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur. Bei ihrer gestrigen Ministerpräsidentenkonferenz verlangten sie eine rasche Verabschiedung im Bundestag. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat einen Plan zur Tilgung der Schulden vorgeschlagen, die durch das Sondervermögen entstehen werden. Es könne zum Beispiel eine jährliche Tilgung von zwei Prozent der Kreditaufnahme aus dem Bundeshaushalt geleistet werden, sagte Tschentscher gestern im Anschluss an das Treffen.
Viele Teenager haben ein besorgniserregendes Verhältnis zu digitalen Medien. Das geht aus einer Studie der Krankenkasse DAK und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hervor, die gestern vorgestellt wurde. Man müsse mit einem "Tsunami an Suchtstörungen bei Jugendlichen" rechnen, sagte Rainer Thomasius vom UKE. Demnach zeigen mehr als ein Viertel aller 10- bis 17-Jährigen eine riskante oder krankhafte Nutzung von sozialen Medien wie TikTok oder YouTube. 4,7 Prozent gelten sogar als süchtig. Diese Werte seien um das Fünf- bis Fünfzigfache höher als bei Cannabis- oder Alkoholkonsum in dieser Altersgruppe.
Nachricht des Tages
© Foto [M]: Julia Sang Nguyen für DIE ZEITMit großer Anteilnahme reagierten gestern Menschen aus Politik und Stadtgesellschaft auf den Tod von Peggy Parnass. Sie sei am Morgen im Kreis von Freunden und Familien in Hamburg gestorben, sagte ein Sprecher der Familie. Zeitlebens hatte Parnass als streitbare Publizistin für Vielfalt, Toleranz und Gerechtigkeit gekämpft, sie engagierte sich unter anderem für die Erinnerungskultur und in der Schwulenbewegung.
Peggy Parnass sei ein "Vorbild für viele", sagte die Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) gestern: "Ob beim Christopher Street Day, bei wichtigen Gedenkveranstaltungen oder zur Feier des jüdischen Lebens in unserer Stadt – es fällt mir schwer, mir die Zukunft ohne Peggy vorzustellen." Kultursenator Carsten Brosda (SPD) würdigte Parnass als furchtlosen Freigeist. Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs sagte, sie werde "ihre klaren Worte und ihre liebenswürdige, warmherzige Art sehr vermissen".
Für ihr Engagement wurde Peggy Parnass vielfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, die Hamburgische Ehrendenkmünze und eine Ehrenmitgliedschaft in der Schriftstellervereinigung PEN. Der seit 2023 bestehende Parnass-Platz in Eimsbüttel ist der Erinnerung an ihre Eltern gewidmet: Hertha und Simon Parnass wurden 1942 im Konzentrationslager Treblinka ermordet. Peggy Parnass und ihr jüngerer Bruder überlebten, weil die Eltern sie nach Schweden geschickt hatten und auf diese Weise retteten.
In aller Kürze
• Ein neues Lotsenversetzschiff namens "Hamburg Pilot 3" im Hafen wird mit synthetischem Gastreibstoff betrieben, das sei umweltfreundlicher • Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat Durchsuchungsbeschlüsse gegen zwei mutmaßliche Mitglieder der PKK vollstreckt. Die kurdische Arbeiterpartei wird als Terrororganisation eingestuft • "Babylon Berlin" wird im Hamburger Rathaus gedreht: Kommende Woche stehen drei Drehtage für die fünfte und letzte Staffel der erfolgreichen Fernsehserie an
THEMA DES TAGES
© David Hammersen/dpaWann steht Hamburgs neue Regierung?
Die Hamburger SPD beendet ihre erste Sondierung mit der CDU schon nach zwei Stunden. Das bedeutet aber nicht, dass eine rot-schwarze Koalition schon vom Tisch wäre. Lesen Sie hier einen Auszug aus der Einordnung von ZEIT:Hamburg-Redakteur Frank Drieschner.
Die plötzliche Armut an politischen Nachrichten aus dem Hamburger Rathaus nach der Bürgerschaftswahl ist nur zum Teil dem Umstand geschuldet, dass die Sozialdemokraten Sondierungsgespräche mit zwei potenziellen Partnern führen, Grünen und CDU, über deren Verlauf die Teilnehmer nur wenig mitteilen.
Hinzu kommt, dass die Frühjahrsferien den Hamburger Feierabendpolitikern nach der Anstrengung des Wahlkampfes Gelegenheit zum Ausspannen verschaffen. SPD und Grüne lassen sich nach einem ersten Treffen am Freitag nun mehr als eine Woche Zeit bis zu einer Fortsetzung – wohl auch aus diesem Grund, wie in den Parteizentralen zu erfahren ist.
Im Wahlkampf hatten sowohl SPD als auch Grüne einander als Wunschpartner bezeichnet, sofern das Wahlergebnis die Fortsetzung einer rot-grünen Koalition möglich mache. Bei der Wahl am 2. März kamen die Sozialdemokraten auf 33,5 Prozent der Zweitstimmen, was einem Verlust von knapp sechs Prozentpunkten entspricht, während die Grünen 18,5 Prozent erhielten und ebenfalls fast sechs Punkte verloren. Für eine Fortsetzung der Koalition reicht dieses Ergebnis aus, und dies scheint nach dem bisherigen Verlauf der Sondierungen auch deren wahrscheinlichstes Ergebnis zu sein.
Am Montag trafen sich Sozial- und Christdemokraten und erklärten nach zwei Stunden wortgleich, man habe "in einer ernsthaften und freundlichen Atmosphäre" festgestellt, "dass es in einigen Zukunftsfragen für Hamburg Übereinstimmungen zwischen beiden Parteien gibt" – ein Satz, der auf beträchtliche, wenn auch ungenannte Meinungsverschiedenheiten in anderen Zukunftsfragen hindeutet.
Was für Balanceakte die Sondierungen weiterhin sind, lesen Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf ZEIT ONLINE.
DER SATZ
© John MacDougall / AFP / Getty Images"Bessere Gesetze bedeuten weniger Bürokratie."
... das schreibt die Initiative für einen handlungsfähigen Staat, in der sich unter anderem die Hamburger Verlegerin Julia Jäkel engagiert. Mehr dazu lesen Sie hier.
DAS KÖNNTE SIE INTERESSIEREN
Das junge Schauspielhaus widmet sich in der Lesereihe "HörenSagen" Geschichten von Flucht und Migration. Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem Ensemble lesen aus Jugendromanen zu diesem Thema vor, etwa aus dem Buch "Wenn Worte meine Waffe werden" von Kristina Aamand.
Der Eintritt ist auf Spendenbasis, der Erlös geht an diverse Hilfsorganisationen für Geflüchtete.
"HörenSagen", 20.3., 19 Uhr. Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28. Gern vorherige Anmeldung, Tickets können telefonisch unter 248713, im Kartenbüro oder unter kartenservice@schauspielhaus.de reserviert werden.
MEINE STADT
Der Frühling ist in der Stadt! © Sandra PolzinHAMBURGER SCHNACK
In einem Café in Ottensen. Ich bestelle einen Chocochino.
Kellnerin: "Mit normaler Milch?"
Ich: "Hm, Hafer geht ja auch."
Sie: "Du kannst auch normale Milch, du musst keine andere Milch nehmen."
Ich: "Hafer ist eigentlich besser für die Umwelt. Aber ich finde, mit Kuhmilch schmeckt es einen Tick besser."
Sie: "Dann nimm Kuhmilch. Genuss ist auch nachhaltig!"
Gehört von Wiebke Nielsen
DIE HEUTIGE AUSGABE ZUM VERTIEFTEN LESEN
Mit 97 (Z+) – In unserer Kolumne nehmen wir uns jedes Mal ein Lebensjahr vor. Diese Woche erzählen wir von wachsenden Nasen und der Liebe zum Leben.
Das Vermächtnis (Z+) – Die 97-jährige Peggy Parnass – Holocaustüberlebende, linke Publizistin, moralische Instanz – überließ ihre Unterlagen dem Hamburger Institut für Sozialforschung. Dann gab das Institut seine Schließung bekannt.
Wann steht Hamburgs neue Regierung? (Z+) – Die Hamburger SPD beendet ihre erste Sondierung mit der CDU schon nach zwei Stunden. Das bedeutet aber nicht, dass eine rot-schwarze Koalition schon vom Tisch wäre.
Diese Vorschläge sollen Deutschland aus der Lähmung befreien (Z+) – Wie kann der Staat wieder handlungsfähig werden? Peer Steinbrück, Thomas de Maizière, Julia Jäkel und Andreas Voßkuhle haben Ideen für eine Staatsreform erarbeitet.
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