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Fettes Brot: Geht's besser? | ZEIT ONLINE

Kurz nach ihrer Gründung vor 30 Jahren hatten Fettes Brot ihren ersten großen Hit: Nordisch by Nature. Der Song wurde so erfolgreich, dass ihn die Band später selbst wieder aus dem Verkauf nahm, weil ihr die Sache unheimlich wurde. Es half nichts. Auf Betriebsfeiern füllt Nordisch by Nature bis heute verlässlich die Tanzfläche. Und noch in Regensburg wird auf Studentenpartys jede Zeile mitgerappt, obwohl dort eventuell nicht jeder weiß, was "Waterkant" bedeutet oder "Dans op de Deel". Seit Jahrzehnten ist die Band um König Boris, Björn Beton und Dr. Renz erstaunlich konsensfähig und sehr erfolgreich. Genau das ist der Grund, warum man jenen, die "echten Rap" lieben, mit Fettes Brot gar nicht kommen braucht.

"Als es kommerziell richtig erfolgreich wurde und sogar Frau Schmidt Nordisch by Nature hörte, wurden wir sauer", erinnert sich die Rapperin Cora E. in Könnt ihr uns hören, einem Buch über die Geschichte der deutschen Hip-Hop-Szene. "Dadurch, dass das auch Nicht-Hip-Hopper lustig fanden, kam uns das wie Nestbeschmutzung vor." Die Folge: Keine andere Gruppe, vielleicht mit Ausnahme der Fantastischen Vier, ist wohl so oft und so hart aus der Szene heraus gedisst worden wie Fettes Brot. Beispielhaft rappte Kool Savas: "Die meisten meiner Feinde sehen aus wie Dr. Renz."

Dass Fettes Brot auch von jenen, die ihre Hits lieben, als "Klamauk-Rap" oder "Spaßrap" wahrgenommen werden, verkennt zwei Dinge, die diese Band ausmachen: Erstens, wie handwerklich stark diese Band schon zu einem frühen Zeitpunkt war. Und zweitens, wie wach und lebendig sie bis zum Schluss geblieben ist. Man kann das veranschaulichen mit zwei Tracks, die nicht zu den Hits gehören, die vermutlich sogar als weitgehend vergessen gelten können und an die es sich gerade deshalb zu erinnern lohnt: Bundeskanzler und Vorurteile Pt. III.

© ZON

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Bundeskanzler erschien 1998 auf dem dritten Album, Fettes Brot lässt grüßen. Es ist nicht ihre bekannteste Platte und auch nicht ihre beste, aber sie zeigt, wie avanciert die Rapper damals schon waren. In Bundeskanzler heißt es: "Wir hörten Metalgeschreddel aus Seattle und spielten Scrabble / Bei behaglicher Beleuchtung auf Boris' Bett / Und lachten über die Frisur von Alanis Morissette."

Was da technisch passiert, ist selbst aus heutiger Sicht noch beeindruckend. In der ersten Zeile reimt sich jedes Hauptwort ("Meddl", "Schreddl", "Sjeddl", "Skrebbl"), in der zweiten schiebt sich plötzlich ein endlos langer Stabreim in den Text (B-B-B-B-B), und während man sich fragt, wie die Band diese Sprachspielereien in der folgenden Zeile noch überbieten will, hört man schon: Sie tut es nicht. Sondern bindet die Szene mit einem perfekten Doppelreim ab.

Als Kunstfiguren sind Fettes Brot ewig 16 geblieben

Wie Ernest Hemingway es einst von der Literatur forderte, bildet das Ausgesprochene hier nur die Spitze des Eisbergs dessen, was tatsächlich erzählt wird. Im echten Leben waren Fettes Brot schon Mitte 20, als Bundeskanzler erschien, aber als Kunstfiguren sind sie ewig 16 geblieben, und hier entfaltet sich eine wunderbare Jugendzimmer-Vignette: Drei Jungs hocken zu Hause auf dem Bett und spielen Gesellschaftsspiele, während auf einem mutmaßlich kleinen und klobigen Fernseher in der Zimmerecke der Musiksender Viva Zwei flimmert. Der war damals neu und hatte ein eklektisches Programm, in dem ein hartes E-Gitarren-Stück von Nirvana umstandslos auf einen Popsong wie Ironic von Alanis Morissette folgen konnte. Die drei Teenie-Jungs schauen von ihrem Spiel auf und lachen über Morissette, das Hippiemädchen mit den geflochtenen Zöpfen, aber nur aus alterstypischer Unsicherheit. Das wahre Begehren bleibt unausgesprochen, liegt aber offen. Warum sonst würde sich "Morissette" so gut auf "Boris' Bett" reimen?

Das alles war Ende der Neunzigerjahre. Rap-Acts wie Digger Dance spielten damals schon wagemutig mit Doppelreimen, aber die Regel war das nicht. Als die Beginner und Samy Deluxe ein Jahr später reimten: "Denn das Rudel tollt, wenn der Rubel rollt", galt das bereits als Sensation. Es mussten noch etliche Jahre vergehen, bis Künstler wie Kollegah das Rappen technisch so weit perfektioniert und in ihren Texten so viele Reime pro Zeile untergebracht hatten, dass sie nicht mehr wie Menschen klangen, sondern wie Maschinen: Rattattattattattattatt.

Man kann das beispielhaft in seinem Track AKs im Wandschrank hören. Im dazugehörigen Musikvideo sieht man auch, woran sich der Künstler dabei orientierte, nämlich am Klang von Sturmgewehren und Geldautomaten. Allerdings: Die Gangstergeschichten, die Kollegah mit seinem Hightech-Rap erzählte, waren nicht halb so originell oder wahrhaftig wie die Jugendzimmeranekdoten von Fettes Brot.

Pointiert gesagt stellte Kollegah den Höhepunkt und den Endpunkt einer Entwicklung dar. So wie in den Siebzigerjahren der technisch ausgetüftelte, aber fade gewordene Prog-Rock vom Punk abgelöst wurde, so kam in den Zehnerjahren eine neue Generation von Rappern auf, die auf Geschwindigkeit und Reimdichte nichts mehr gab – und so die Szene erneuerte. Der muskelbepackte Maschinenmann Kollegah sah plötzlich ziemlich alt aus, als der schmächtige Yung Hurn um die Ecke geschlurft kam und phlegmatisch ins Mikrofon nuschelte: "Deine Freunde verkaufen jetzt Drogen, OK cool, du stehst heute auf der Gästeliste, OK cool." Chorus: "OK cool, OK cool, OK cool, OK cool, OK cool, OK cool, OK cool, OK cool." Damit war klar: Die alten Regeln der sprachspielerischen Raffinesse und technischen Perfektion galten nicht mehr. Eine neue Zeit war angebrochen.

Einige ältere Rapper machten diese Entwicklung nicht mit. In Interviews oder auf Podiumsdiskussionen grantelten sie über das Unvermögen der Nachgeborenen und beschworen das goldene Zeitalter der Neunziger. Damals war Rap noch Handwerkskunst! Damals gab es noch Maßstäbe für Qualität!

Die Masche wurde zum Meme

Fettes Brot gehörten nicht zu dieser alten Garde. Ganz im Gegenteil. Sie verfolgten, was die Jüngeren machten – und sie feierten es. Das wurde deutlich, als sie 2014 überraschend Vorurteile Pt. III veröffentlichten, einen Track, der eine Idee von jüngeren Kollegen aufgriff und weiterentwickelte. Einige Jahre zuvor hatten Fatoni und Juse Ju in Ich habe keine Vorurteile Menschen aufgezählt, die sie seltsam finden (etwa: BWL-Studenten, SUV-Fahrer, Fans der Band Nickelback), wobei der Witz darin lag, diese völlig kunstlos anzupöbeln. Statt mit einem raffinierten Reim endete fast jede Zeile mit den Worten: "Ich halte dich für einen Spasten." Im Refrain beteuerten die Rapper dann: "Was, das sind nur Vorurteile? Ich habe keine Vorurteile!" Klar: Vorurteile haben immer nur die anderen.

Die Masche wurde zum Meme: Die Antilopen Gang veröffentlichte Vorurteile Pt. II und setzte die Liste der seltsamen Menschen fort (hier ging es nun auch gegen Tierschützer, Verschwörungstheoretiker und Max Herre). In diesem zweiten Track klang auch an, dass es vielleicht nicht okay ist, "Spast" als Schimpfwort zu benutzen, allerdings flüchteten sich die Rapper in die Ironie (Textprobe: "Diskriminierung ist behindert, 'Spast' zu sagen ist schwul").

Dann veröffentlichten Fettes Brot Vorurteile Pt. III. Selbes Prinzip, ähnlicher Beat, doch hier enden die Zeilen so: "Ich halte dich für einen Basken", "ich halte dich fürn Cineasten", "Gymnasiasten", "Spatzen", "Justin" und so weiter. Die Band bewies damit dreierlei: Erstens, sie ist auf dem Laufenden und respektiert die Jüngeren. Zweitens, sie empfindet eine Verantwortung, auch dann, wenn sie nur rumblödelt. Und drittens: Niemand kennt so viele Reimwörter wie Fettes Brot. Schöner kann man sich nicht vor Jüngeren verneigen – und nebenbei zeigen, dass die Alten doch noch nicht ganz abgemeldet sind.

Jetzt wollen Fettes Brot aufhören. Man muss deshalb nicht traurig sein, vorher wird es noch eine große Abschiedstournee geben und wer weiß, wie lange es danach bis zu den ersten Reunion-Shows dauert. Nordisch by Nature, Jein, Emanuela, wer solche Songs geschrieben hat, wird ohnehin nie ganz weg sein. Die Hits werden weiterhin laufen, auf den Studentenpartys und auf den Betriebsfeiern. Auch wenn die wahre Stärke dieser Band sich in anderen Tracks offenbart.


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