Der russische Eroberungskrieg gegen die Ukraine hält seit mehr als 20 Monaten an. Hier haben wir zusammengefasst, wie wir das Kriegsgeschehen nachrichtlich abbilden.
29. November 2023, 12:51 Uhr
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Sicht auf ein Weltkriegsdenkmal aus dem Fenster eines Kulturhauses in der südukrainischen Region Cherson im November 2023 © Roman Pilipey/AFP/Getty ImagesUnser Ziel ist es, über den Krieg in der Ukraine sachlich, objektiv, verlässlich und idealerweise schnell zu berichten. Gezielte Desinformation ist aber Teil des Krieges, und das erschwert unsere Berichterstattung. In diesem Beitrag beschreiben wir, wie wir in unseren Nachrichten und Liveblogs mit den redaktionellen Herausforderungen seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 umgehen und wie wir versuchen, möglichst genau über die Lage in der Ukraine zu informieren.
Viele Informationen erreichen uns bruchstückhaft und aus nicht eindeutig vertrauenswürdigen Quellen, manchmal im Minutentakt. Dabei geht es um Angriffe beider Seiten, um die Eroberung von Dörfern und Städten, um Kriegsverbrechen und die humanitäre Lage in der Ukraine. Unsere Aufgabe ist es, diese Informationen zu verifizieren: Sind russische Behauptungen über zerstörte Leopard-Panzer der ukrainischen Armee mit Bild- oder Videomaterial belegt? Sind diese Bilder echt oder von Experten bereits als Fälschungen enttarnt? Und wenn sie echt sind: Haben Spezialisten sie lokalisiert, sodass der behauptete Aufnahmeort belegt werden kann?
Nach der Verifizierung kommt die Einordnung: Viele Ereignisse sind Teil langfristiger Entwicklungen, was nicht unbedingt aus ersten Berichten über die Ereignisse selbst ersichtlich ist. Ein Beispiel: Als der im August 2023 bei einem Flugzeugabsturz gestorbene russische Söldneranführer Jewgeni Prigoschin angeblichen Munitionsmangel bei seinen Truppen beklagt hatte, reichte es nicht aus, allein diese Behauptung weiterzuverbreiten – ohne zu erwähnen, dass diese Klage Teil einer monatelangen (Des-)Informationskampagne Prigoschins war, die weniger mit der Lage an der Front als mit innenpolitischen Machtkämpfen zu tun hatte. All das musste entsprechend eingeordnet werden. Der Aufstand Prigoschins mit seiner Wagner-Gruppe bestätigte dann, dass seine Angaben durch eigene Interessen motiviert waren – und ohne Einordnung nicht als Informationsquelle für die Situation an der Front verwertbar waren.
Entscheidend ist nicht nur, was wir berichten, sondern auch, was wir nicht berichten. Angaben über die Zahl getöteter Soldaten der jeweils gegnerischen Seite lassen sich zum Beispiel kaum durch unabhängige Quellen überprüfen. Dasselbe gilt für Spekulationen – etwa über immer wieder aufkommende Gerüchte, Russland wolle bald das Kriegsrecht verhängen und eine Generalmobilmachung ausrufen. Bei aller Notwendigkeit, schnell über wichtige Kriegsereignisse zu berichten: Sorgfalt geht vor Tempo.
QuellenUnsere Berichterstattung beruht – neben Fotos und Meldungen mehrerer Nachrichtenagenturen – auf Erklärungen offizieller russischer wie ukrainischer Stellen, auf Einschätzungen von weiteren Regierungen oder von Behörden anderer Staaten und auf den Angaben unabhängiger internationaler Organisationen und Expertinnen sowie auf den Recherchen unserer Reporter.
Wir nutzen zudem die Berichterstattung ukrainischer und russischer Medien. Wir unterscheiden dabei zwischen staatlichen Medien mit eindeutigem Propagandaauftrag und Medien, die unabhängig berichten. Zu den ersten gehören etwa die von der russischen Regierung kontrollierten Nachrichtenagenturen Ria Nowosti und Tass. Und wenn in der Ukraine ein Informationsportal neue Vorwürfe gegen Russland erhebt, machen wir es kenntlich, falls dieses Portal dem ukrainischen Militär untersteht.
Berichte über die Eroberung von Siedlungen oder Städten gelangen meist zunächst aus anonymen Quellen zu uns – viel früher, als offizielle Stellen etwas bestätigen. Deswegen nutzen wir Berichte von Militärbloggern auf der russischen wie auf der ukrainischen Seite. Da sich diese Informationen oft nur unzureichend mit unabhängigen Quellen überprüfen lassen und auch Militärblogger Propaganda verbreiten, berücksichtigen wir diese Angaben ausschließlich im Abgleich mit anderen Quellen.
Über ihre Staatsmedien kontrolliert die russische Regierung weitestgehend die inländische Berichterstattung über den Krieg gegen die Ukraine. Staatliche Nachrichtenagenturen wie Ria und Tass sowie staatliche Fernsehsender transportieren die von der Regierung gewünschte Sicht auf den Krieg und sind für viele Russinnen und Russen die Hauptinformationsquelle.
Im Verlauf des Krieges haben jedoch vor allem über den Messengerdienst Telegram sogenannte Militärblogger stark an Reichweite gewonnen. Sie positionieren sich als Alternative zu staatlichen Medien, indem sie den Anspruch erheben, durch direkte Verbindungen zum Militär objektivere Informationen anzubieten.
Nach Einschätzung des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) üben die Militärblogger einen starken Einfluss auf die Kriegsberichterstattung in Russland aus. Ihr Publikum rechnet ihnen vor allem nach den Niederlagen in Charkiw und Cherson eine höhere Glaubwürdigkeit zu als offiziellen Angaben der Regierung oder des Militärs – auch weil die Militärblogger schon früh die enormen personellen und logistischen Probleme in der Armee kritisierten.
Dennoch besteht zwischen den Militärbloggern und den staatlichen Strukturen ein Abhängigkeitsverhältnis, schon weil sie darauf angewiesen sind, dass der Staat trotz ihrer Kritik auf Repressionen gegen sie verzichtet. Zudem agieren einige Militärblogger als Vertreter separater Gruppen wie etwa der Söldnertruppe Wagner.
Viele der Militärblogger bekennen sich bereitwillig zum imperialen Charakter des Krieges, befürworten eine aggressive Kriegführung und scheuen nicht vor harter Kritik am Zustand der russischen Armee, der Militärführung und der Regierung zurück.
Gleichzeitig transportieren auch sie vom Staat seit Jahren verbreitete antiukrainische und antiwestliche Narrative, etwa Wladimir Putins unbelegten Vorwurf eines vermeintlichen "Genozids" gegen die Bevölkerung des Donbass durch die Ukraine. Mehrmals rechneten sie zudem die gut belegten Gräueltaten russischer Soldaten der ukrainischen Seite zu und begründen damit die vermeintliche Notwendigkeit des Krieges.
Somit nehmen sie im russischen Informationsraum eine Sonderrolle ein: Sie popularisieren die imperiale Grundhaltung gegenüber der Ukraine und befürworten den Krieg, werfen jedoch der Staats- und Militärführung auch immer wieder Inkompetenz oder vermeintlich mangelnde Aggressivität vor. Dadurch heben sie sich deutlich sowohl von staatlichen als auch von oppositionellen Kommentatoren ab.
Dennoch dürfen die Militärblogger nicht, obwohl sie sich um diese Wahrnehmung bemühen, als objektive und unabhängige Informationsquelle betrachtet werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Freiheiten, die sie sich im Ton gegenüber der russischen Regierung nehmen, von dieser erwünscht sind, um sie als Scheinalternative zu staatlichen Angaben einzusetzen. Mehrere Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Vertretern der Militärbloggerszene belegen, dass es Kontakte zwischen ihnen und der Regierung gibt.
Das ISW nutzt die Militärblogger häufig als Quellen in seinen täglichen Lageberichten, etwa im Hinblick auf noch nicht offiziell verkündete Änderungen im Frontverlauf, den Versorgungszustand der russischen Armee und die Stimmungslage der nationalistischen Kriegsbefürworter gegenüber der politischen Führung in Moskau.
Da die Militärblogger viele ihre Aussagen aber nicht belegen und es sich bei vielen von ihnen um anonyme, kaum überprüfbare Quellen handelt, berücksichtigt ZEIT ONLINE ihre Angaben nur im Abgleich mit weiteren Berichten sowie offiziellen Angaben ukrainischer, russischer und internationaler Behörden zum Kriegsgeschehen.
Zum Weiterlesen:
Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht darin, unbelegte Vorwürfe und Behauptungen zu identifizieren und zu benennen. Daher begegnen wir vor allem russischen Verlautbarungen über militärische Erfolge mit Skepsis. Lageberichte des russischen Militärs ziehen wir nur in Ausnahmefällen für die Berichterstattung heran.
Wir haben auch kein uneingeschränktes Vertrauen in ukrainische Angaben. Das ukrainische Militär hat bereits teilweise falsche Informationen verbreitet. Entsprechend gleichen wir solche Angaben mit denen unabhängiger Beobachterinnen und Beobachter ab.
StandpunktTrotz der journalistischen Verpflichtung, keiner Kriegspartei vorbehaltlos zu glauben, bewerten wir Angaben der ukrainischen und russischen Seite unterschiedlich. Skepsis und Abstand sind zwar in beiden Fällen angebracht – Äquidistanz jedoch nicht. Wir haben im Blick, dass die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen wurde und dass Russland der Aggressor ist, der einen Eroberungskrieg führt.
Deshalb unterscheiden wir auch zwischen Angriffspropaganda, die kriegerische Aggression zu rechtfertigen versucht, und Verteidigungspropaganda, die Abwehrkräfte mobilisieren soll – ohne zu vergessen, dass sie in beiden Fällen zielgerichtet eingesetzt wird. Wir machen dies in unseren Nachrichten transparent, etwa indem wir Verlautbarungen beider Seiten in die Narrative der Kriegsparteien einordnen.
Wir dokumentieren, wenn eine der Kriegsparteien eine systematische und objektiv feststellbare Vorgeschichte an Desinformation hat. Bis zum ersten Kriegstag hat Russland beispielsweise Angriffspläne immer wieder geleugnet. Zugespitzt formuliert: Die Regierung in Kiew verdient kein unhinterfragtes Vertrauen, die Regierung in Moskau hat sehr viel dafür getan, Misstrauen zu verdienen.
SpracheNachrichten formulieren wir so sachlich wie möglich. Auch für die Kriegsberichterstattung bedeutet das, nicht zu emotionalisieren und Verharmlosungen ebenso zu vermeiden wie Übertreibungen. Außerhalb von Zitaten folgen wir daher nicht der Wortwahl von Politikern oder Militärs: So sprechen wir beispielsweise von getöteten, nicht aber von gefallenen oder "vernichteten" Soldaten.
Vor allem die russische Regierung nutzt systematisch verharmlosende Begriffe, um ihren Handlungen Legitimität zu verleihen. Uns ist wichtig, keine Formulierungen zu übernehmen, die mit dem Ziel der Propaganda die Realität verzerren. Wir vermeiden Euphemismen und schreiben beispielsweise nicht vom "Beitritt der Krim zu Russland", sondern von der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel.
Zudem nutzen wir ukrainische Bezeichnungen für Orte in der Ukraine und transkribieren Namen von Städten und Dörfern aus dem Ukrainischen ins Deutsche. Eine Ausnahme ist die ukrainische Hauptstadt (ukrainisch: Kyjiw), da Kiew der vom Auswärtigen Amt empfohlenen Schreibweise entspricht.
Wir bemühen uns, in Meldungen Hintergründe und Kontexte zu beschreiben, damit auch Leserinnen und Leser, die nicht jede Meldung zum Kriegsgeschehen lesen, den Überblick behalten.
Sollte Ihnen in unseren Nachrichten und unserem Liveblog zum Ukrainekrieg auffallen, dass wir ungenau formuliert oder Quellen nicht hinreichend überprüft haben, freuen wir uns über einen Hinweis an online-cvd@zeit.de.
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