Wenn Hunde ins Tierheim kommen, haben sie oft eine traurige Geschichte im Gepäck. Mit Glück werden sie schnell vermittelt. Doch was ist mit den problematischen Hunden, die nicht nur Narben im Fell, sondern auch auf der Seele mit sich tragen? Sie finden im Lissi-Lüdemann-Haus in Kappeln eine zweite Chance. DeineTierwelt sprach mit Leiterin Dr. Katrin Umlauf über das besondere Hundeprojekt…
Die Liebe zu Hunden wurde ihr quasi in die Wiege gelegt: "Meine ganze Familie ist sehr tierlieb. Wir hatten zuhause immer Hunde, ich bin schon als Baby mit ihnen aufgewachsen", sagt Dr. Katrin Umlauf. Dabei kamen die Hunde nicht immer vom Züchter. Es waren auch sogenannte "Problemhunde" dabei. "Ein Hund war mal angeschossen worden. Er mochte keine Fremden, reagierte panisch auf laute Geräusche. Gleichzeitig war er ein absolut toller Hund. Und er genoss sein Leben."
Und er war sehr freiheitsliebend. "Er ging gerne stiften", sagt Umlauf. Das wurde ihm zum Verhängnis. "Er wurde überfahren. Für mich ging damals die Welt unter. Ich habe ihn sehr geliebt, er war ein Familienmitglied." Ihre Eltern wollten damals erst einmal keinen neuen Hund. Doch ohne Begleiter auf vier Pfoten? Das ging für die Tochter nicht. "Also führte ich die Nachbarshunde aus", erinnert sich Umlauf.
Mit neun Jahren hatte sie ihren ersten eigenen HundAls sie neun Jahre alt wurde, hatten ihre Eltern ein Einsehen "und ich bekam endlich meinen ersten eigenen Hund. Er hat mich bis zu meinem 18. Lebensjahr begleitet, war mein bester Freund." Doch dann wurde Benno krank. "Er war danach querschnittgelähmt", so Umlauf. "Damals war die Tiermedizin noch nicht so weit wie heute und so mussten wir ihn erlösen. Da ging wieder meine Welt unter…"
Dr. Katrin Umlauf hat jahrelange Hundeerfahrung. © Foto: PrivatDiesmal wollte sie eigentlich keinen neuen Hund. "Aber die Tierärztin, die unseren Hund erlöst hatte, bekam einen anderen Hund. Er war damals sechs Jahre alt und sollte eingeschläfert werden, weil seine Besitzerin ihn nicht mehr wollte." Ein Gedanke, den die Familie nicht ertragen konnte. "Wir haben ihn gerettet und er bei uns ein zweites Leben bekommen."
Ein Haus für "Problemhunde"Diese Erfahrungen haben die heute 63-Jährige sehr geprägt. Sie machte zunächst eine Ausbildung zur Tierpflegerin – in einer Hundezucht. "Da habe ich noch einmal viel über Hunde gelernt." Zwei Jahre arbeitete sie in ihrem Beruf. Dann war klar: Sie will mehr über Tiere wissen. Es folgt ein Zoologie-Studium. Am Institut für Haustierkunde macht sie bei Dr. Dorit Feddersen-Petersen ihre Diplom- und Doktorarbeit. "Danach habe ich als Referentin im Heimtierbereich beim ‚Deutschen Tierschutzbund‘ angefangen."
Bis 2002 ein Erbe ihr Leben noch einmal änderte: Lissi Lüdemann hinterließ dem Tierschutzzentrum Weidefeld in Kappeln (Schleswig-Holstein) Geld für benachteiligte Hunde. So entstand die Idee für das Lissi-Lüdemann-Haus – einen Ort, an dem verhaltensauffällige Hunde therapiert werden können und so eine neue Chance bekommen. "Ich habe das Projekt aufgebaut – und 2003 die Leitung übernommen."
"Kampfhunde" wurden zum PolitikumFür Dr. Umlauf war es sofort ein Herzensprojekt. "Damals waren viele Hunde in Verruf gekommen – oft schon allein aufgrund ihrer Rasse." Der Grund: Am 26. Juni 2000 spielte der sechsjährige Volkan auf dem Schulhof seiner Grundschule, als ein Mann mit seinen Hunden vorbeikam. Die beiden American-Staffordshire-Mischlinge sprangen über die Mauer, rannten auf den Jungen zu – und bissen ihn tot.
Der Vorfall wurde zum Politikum, selbst der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach von "Kampfmaschinen", die von der Straße müssten. Dass ihr Besitzer sie abgerichtet hatte – das ging in den emotionalen Diskussionen oft unter. Die Folge: Hamburg führte nach dem Tod des Sechsjährigen eine Hundeverordnung ein, später wurden bundesweit Verordnungen für Listenhunde eingeführt.
"Damals hatten alle irgendwelche problematischen Hunde, die dann ins Tierheim kamen", so Umlauf. Doch das löste die Probleme nicht. "Die Hunde brauchen Hilfe." Und die bekommen die "Problemhunde" seitdem im Lissi-Lüdemann- Haus. "Wir arbeiten mit den Hunden. Unser Ziel ist es, sie danach wieder in verantwortungsvolle Hände zu vermitteln."
Die Hunde brauchen Hilfe. © Foto: Deutscher Tierschutzbund Kelpie-Mix wurde ohnmächtig über die Straße gezogenSehr schnell waren sie ausgebucht. "Wir merkten: Wir können nicht allen Tierheim-Hunden helfen, die uns brauchen." Also entwickelte sie einen Leitfaden für Tierheim-Mitarbeiter, gab Seminare, bot Schulungen an und baute ein Netzwerk auf. "Es kommen auch Hunde mit ihren Betreuern zu uns, die hier mit ihren Hunden dann arbeiten." Für Umlauf eine Win-Win-Situation. "Der Hund bekommt seinen Therapieplan. Und wir bilden gleichzeitig einen Mitarbeiter aus. Und das liegt mir am Herzen: dass wir unser Wissen weitergeben."
Im Lissi-Lüdemann-Haus haben mittlerweile 153 Hunde eine zweite Chance auf ein tierisch schönes Leben bekommen. Wie ein Kelpie-Mix, der in einem schrecklichen Zustand zu den Mitarbeitenden kam. "Sein Besitzer hatte ihn sehr schlecht behandelt." Als eine Schulklasse sah, wie der Mann seinen ohnmächtigen Hund hinter sich herzog, alarmierten sie die Polizei. Der Mischling wurde beschlagnahmt, kam ins Tierheim – und schließlich ins Lissi-Lüdemann-Haus. "Er hatte damals überhaupt kein Vertrauen zu Menschen."
Happy End für einen glücklichen HundDas musste erst einmal neu aufgebaut werden. "Wir haben ihm die Zeit gegeben, die er brauchte. Er wurde von uns nicht unter Druck gesetzt, sondern wir haben ihn zu uns kommen lassen." Umlauf lacht. "Zum Glück war er ziemlich verfressen, so dass wir mit Futter einiges erreichen konnten. So hat er sehr schnell Vertrauen aufgebaut."
Doch die Narben auf seiner Seele blieben – und zeigten sich, als Besucher ins Zentrum kamen. "Ein Mann sah seinem alten Besitzer offensichtlich ziemlich ähnlich. Da ist er total ausgerastet, hat in die Gitterstäbe gebissen."
Die Mitarbeitenden reagierten sofort. "Wir haben den Mann gleich ins Therapieprogramm eingebaut." Am Ende konnte der Mischling zu einer Lehrerin vermittelt werden. "Da zeigte er, dass er richtig lachen konnte. Er wurde so ein glückliches Wesen und hat ein ganz tolles Leben geführt."
Einige Hunde blühen wieder auf. © Foto: pixabay.com/StephanieCor (Symbolfoto) "Problemhunde" haben oft Narben auf der SeeleHaben alle sogenannten "Problemhunde", die zu ihr kommen, so ein Schicksal hinter sich? "Die meisten haben schon viel erlebt", so Umlauf. "Aber nicht immer sieht man es. Viele haben auch Narben auf der Seele, die man eben nicht sieht, sondern erst hier erkennt." Woher die Narben kommen? "Zu 99 Prozent sind sie menschengeschuldet." Doch es gibt auch Hunde, die zum Beispiel beißen, weil sie Schmerzen haben. "Deshalb werden alle Hunde bei uns zuerst gründlich untersucht, damit wir das ausschließen können."
Und nicht jeder Hund wurde gequält. Manchmal liegt es zuerst daran, dass die Halter überfordert sind. "Manche Menschen entscheiden sich für einen Hund, weil er so hübsch ist. Doch wer sich einen Arbeitshund, also zum Beispiel einen Hüte- oder Jagdhund, holt, muss wissen: Diese Hunde brauchen einen Job. Und wenn sie keinen haben, dann suchen sie sich einen – und hüten vielleicht ihre Familie oder ihr Essen."
"Problemhunde" sind menschengemachtDie überforderten Halter gehen dann in eine Hundeschule. "Und das ist nicht immer die beste Hundeschule. Denn: Der Begriff Hundetrainer ist nicht geschützt. Da stehen manchmal Menschen, die von Hundeverhalten kaum Ahnung haben." Deshalb, so Umlauf, setzt sich der "Deutsche Tierschutzbund" auch dafür ein, dass es eine richtige Ausbildung mit festgeschriebenen Standards zum Hundetrainer gibt. "Nur wer Hunde wirklich kennt, kann ihnen auch helfen."
Denn die Arbeit mit den Hunden ist individuell – und zeitintensiv. "Für uns gilt: Gutes Training geht ohne Provokation, ohne Druck. Es ist nur erfolgreich, wenn sich Hund und Mensch wohlfühlen." Wenn sie hört, dass Trainer ihren Hundebesitzern sagen, dass sie den Hund auf den Rücken werfen sollen, schüttelt sie nur der Kopf. "Damit kann ein Hund gar nichts anfangen. Das Dominanz-Konzept ist längst überholt, durch Druck und Gewalt verlieren Hunde ihr Vertrauen zu den Menschen."
Auch "Problemhunde" empfinden Glück – und FrustWie lange ein Hund braucht, um genau dieses Vertrauen wieder aufzubauen – das ist ganz unterschiedlich. "Manchmal ist ein Hund nach zwei Wochen schon so weit. Andere brauchen deutlich länger." Und auch wenn das Vertrauen wieder da ist, kann der Hund nicht sofort in ein neues Zuhause kommen. "Wir gucken sehr genau hin, wo unsere Hunde hinkommen. Wir brauchen die richtigen Menschen. Einen Hund, der Menschen verletzt hat, können wir nicht in eine Familie mit Kindern geben." Denn, das gibt Umlauf zu: "Wir geben alles, damit der Hund ein gutes Leben führen kann. Aber wir können nicht garantieren, dass alles gut geht."
Doch egal, wie auffällig ein Hund auch ist – er hat es verdient, dass er eine zweite Chance bekommt. "Wir erwarten, dass Hunde funktionieren, parieren – und sich unserem Leben anpassen. Dabei vergessen wir oft, dass ein Hund auch Emotionen hat. Er empfindet Glück, Frust und Ärger – wie wir Menschen. Dabei sollten Hunde einfach Hunde sein dürfen."
Und genau das möchte sie: "Hunde sind uns Menschen gegenüber loyal und wollen mit uns leben. Und sie haben es verdient, dass wir alles tun, damit sie ein gutes Leben führen können – an unserer Seite…" © Deine Tierwelt
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