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Chef des Paritätischen fordert mehr Geld zur Pflege-Finanzierung

Schwarz-Rot müsse den Sozialstaat vom Kopf auf die Füße stellen, findet der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Joachim Rock: Priorität müsse in Zukunft das soziale Zusammenleben haben.

Joachim Rock, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, macht sich Sorgen. Die soziale Ungleichheit in Deutschland wächst weiter. Ebenso die Zahl der Menschen, die von Armut betroffen sind. Schwarz-Rot hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, gerade die Leistungsträger der Gesellschaft zu entlasten. Ein Begriff, der Rock sauer aufstößt.

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Denn viele Leistungsträger werden aus seiner Sicht gar nicht als solche anerkannt. Rock fordert daher von der Politik, Care-Arbeit sichtbarer zu machen. Die Finanzierung der Pflege muss aus seiner Sicht auf breiteren Schultern verteilt werden – zum Beispiel durch ein Instrument, das auch der scheidende Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagen hat.

Herr Rock, ist Schwarz-Rot eine Koalition der Gerechtigkeit?

Joachim Rock. © Paritätischer Wohlfahrtsverband

Joachim Rock: Das wird die Koalition beweisen müssen. Die soziale Ungleichheit schreitet in diesem wohlhabenden Land immer weiter voran. In nahezu allen sozialpolitischen Feldern gibt es große Ungerechtigkeitsprobleme. Die führen auch dazu, dass sich Menschen nicht mehr gesehen fühlen. Die Aufgabe der neuen Regierung wird sein, dieses Gefühl bei den Menschen zu beseitigen und für mehr Gerechtigkeit, Klarheit und Aufgabenteilung zu sorgen.

Das Gefühl des Nicht-Gesehen-Werdens oder des Abgehängt-Seins spiegelt sich auch in Wahlergebnissen wider: Die AfD fährt Erfolge ein. Kann gute Sozialpolitik gegen den Rechtsruck helfen?

Die Ursachen für die AfD-Zustimmung sind vielfältig. Aber natürlich hat diese Entwicklung auch mit einem starken Unsicherheits- und Ungleichheitsgefühl zu tun. Gute Sozialpolitik kann gegen Erfolge von rechtsextremen und menschenfeindlichen Organisationen helfen, davon bin ich überzeugt. Viele haben den Eindruck, keine Wertschätzung für ihre berufliche Profession zu bekommen oder nicht anerkannt zu werden. Sie fühlen sich von Einkommens- oder Statusverlusten bedroht.

Der mit Abstand größte Posten im Bundeshaushalt ist der Bereich Arbeit und Soziales. Reicht das Geld nie?

In Deutschland wird viel Geld verteilt, aber ganz wenig umverteilt. Das Bürgergeld dominiert die Debatte, aber es macht weniger als fünf Prozent der Sozialausgaben aus und sichert den Lebensunterhalt von über fünf Millionen Menschen. Der größte Teil des Sozialbudgets entfällt auf die Krankenversicherung und die Alterssicherung, von der fast die gesamte Bevölkerung profitieren. Allen Menschen muss klar sein: Wer Milliardeneinsparungen im Sozialen verspricht, der hat auch Leistungskürzungen für die Versicherten, für ältere Menschen und Familien im Blick. Davor kann ich nur warnen. Anstelle von Sozialkürzungen ist die Bundesregierung gut beraten, die Finanzierung des Sozialen solidarisch auf breitere Schultern zu stellen.

Besonders Augenmerk legen die Koalitionäre auf die sogenannten Leistungsträger der Gesellschaft. Was halten Sie von diesem Begriff?

Das ist ein gefährliches Spiel mit auslegbaren Begriffen, die der Realität nicht gerecht werden.

Ach ja?

Schauen wir auf die Bürgergeldberechtigten: Die größere Gruppe ist erwerbstätig und muss aufstocken. Oder sie kümmert sich um kranke Eltern oder Kinder und steht dem Arbeitsmarkt deshalb nicht zur Verfügung. Der Sozialstaat finanziert diese Leistungen nicht ausreichend – und deshalb muss das Bürgergeld ausgleichen. Diese Menschen lassen ihre Jobs hinter sich, um temporär ihre Angehörigen zu versorgen. Mit dem Leistungsträgerbegriff, der sie offensichtlich nicht mit meint, werden sie diskreditiert. Denn damit sind meistens Menschen mit hohen Einkommen gemeint. Das verkennt völlig die Realitäten.

Müsste Politik auch Care-Arbeit sichtbarer machen, um dieser vermeintlichen Neiddebatte etwas entgegenzusetzen?

Der ganze Leistungsbegriff müsste vom Einkommen entkoppelt werden. Stattdessen müsste stärker darauf geachtet werden, was der gesellschaftliche Wert ist. Immer weniger sind bereit, hauptberuflich zu pflegen, zu erziehen. Ein Großteil geht zudem in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand – gleichzeitig wird die Zahl derer steigen, die auf Pflege angewiesen sind. Deswegen muss klar sein: Genau diese Menschen, die sich für andere einsetzen, sind Leistungsträger. Und sie verdienen die Anerkennung.

Die Pflegekosten sind schon heute hoch und werden ohne Veränderungen weiter steigen. Wie müsste eine Pflegereform aus Ihrer Sicht aussehen?

Wir müssen die Netzwerke pflegen, die es Menschen ermöglichen, lange ohne stationäre Pflege leben zu können. Aktuell haben wir ein hohes Maß an Pflege, das familiär geleistet wird. Fraglich, ob das so bleibt, wenn immer mehr Menschen ohnehin schauen müssen, wie sie mit ihrem Einkommen überleben können. Gemeinnützige Strukturen müssen gestärkt werden, hier greifen Ehrenamt und Hauptamt ineinander. Klar ist aber auch: Wir brauchen mehr Geld im System.

"Die Zeitenwende wird bislang vor allem militärisch und außenpolitisch definiert. Aber Sicherheitspolitik muss auch eine soziale Sicherheitspolitik sein."

Joachim Rock

Noch mehr Geld? Wo soll das herkommen?

Bei den steigenden Bedarfen geht es nicht ohne mehr Geld im System. Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass sich besonders die einkommensstärksten Gruppen weiter in ihrer eigenen Versicherung absichern können. Der ganze gesetzliche Bereich der Pflege wird von den Beitragszahlern getragen – inklusive vieler gesamtgesellschaftlicher Aufgaben, die eigentlich über Steuern finanziert werden müssten. Ein weiteres Problem: Wir berechnen die Beiträge nach dem Lohneinkommen. Mittlerweile sind aber nur noch zwei Drittel der volkswirtschaftlichen Einkommen Lohneinkommen.

Und der Rest?

Leistungslos erbrachte Kapitaleinkommen. Etwa Menschen, die Wohneigentum haben und das jetzt teuer vermieten. Sie werden aber nicht zur Finanzierung der Pflegeaufgaben herangezogen. Nicht über Steuern, die sinken und nicht über Beiträge, weil die nicht erhoben werden. Man muss auch Kapitaleinkommen sozialversicherungspflichtig ausgestalten.

Das klingt nach dem Vorschlag des scheidenden Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne). Kritiker bemängeln, dass sie so doppelt Sozialabgaben zahlen müssen: Einmal auf ihr Einkommen, einmal auf die Kapitalerträge, die sie durch Investitionen ihres gesparten Einkommens erhalten.

Das kann man schlüssig erklären und dieses Vorgehen ist unserem Sozialsystem auch nicht fremd: Bei freiwillig gesetzlich Krankenversicherten ist das schon heute so, dass für den Beitrag das gesamte Einkommen nach Einkommensteuerbescheid erhoben wird. Da sind auch Kapitalerträge abgebildet und niemand beschwert sich darüber. Das Mehr, das dann bezahlt werden müsste, bedeutet natürlich auch, dass man an anderer Stelle weniger bezahlen muss: Die Gesamtkosten würden so auf breiteren Schultern verteilt. Im Steuersystem kann man Belastungen außerdem geltend machen.

Sie fordern die soziale Zeitenwende. Mittlerweile ein recht abgenutzter Begriff. Was stellen Sie sich darunter vor?

Dass man das sozialstaatliche Gefüge vom Kopf auf die Füße stellt. Wir müssen unsere Prioritäten auf ein soziales Zusammenleben legen. Die, die ökonomisch besonders leistungsfähig sind, sollten im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit dazu beitragen, dass das System finanziert wird. Menschen, die wichtige Leistungen für ihr nahes Umfeld erbringen, müssen dafür anerkannt werden. Die Zeitenwende wird bislang vor allem militärisch und außenpolitisch definiert. Aber Sicherheitspolitik muss auch eine soziale Sicherheitspolitik sein.

Die Wohlfahrtsverbände sichern mit ihrer Arbeit in der Pflege, in Kitas, in der Obdachlosen- und Geflüchtetenhilfe einen Teil des Sozialstaats ab. Was brauchen Sie von der nächsten Regierung, um Ihre Arbeit machen zu können?

Wohlfahrtsverbände sind gemeinnützig unterwegs – alles, was wir einnehmen, geht zurück ins System. Das bedeutet auch: Wir haben keine besonderen Rücklagen. Die Pandemie und die Inflation haben die Reserven gefressen, hinzu kommen Investitionen, die für die ökologische Transformation gebraucht werden. Wir haben im sozialen Sektor schon heute viele Insolvenzen. Wenn diese Angebote wegbrechen, beispielsweise in der Pflege im ländlichen Raum, dann kommen die nicht wieder einfach so nach. Ich vermisse in der Politik die Anerkennung dessen und das Bewusstsein dafür, was gerade passiert.

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